Dienstag, 11. Oktober 2011

aus dem leben eines autors

Es gibt von mir nun ein Buch bei einem Lebensmitteldiscounter. Kurios, wie eigentlich die ganze Geschichte dieses Buches. Das Buch war seinerzeit eine schwere Geburt. Über den Zeitraum von zwei Jahren ging der Text oft hin und her und wurde schließlich zu meinem Leidwesen etwa um die Hälfte gekürzt. Das hätte dem Buch gut getan, meinte der Verlag und nahm es nach nicht mal einem Jahr aus dem Programm.
Seither ist das Buch vergriffen.
Halt!!!
War vergriffen, denn jetzt gibt es ja eine Discounterausgabe. Als ich über den Deal unterrichtet wurde, witterte ich gleich eine Korrekturmöglichkeit. Das Buch ist eine Art Cyrano de Bergerac-Story. Ein Junge, dem man es überhaupt nicht zutrauen würde versorgt seinen Freund mit kleinen Liebesgedichten, die dieser anonym aber sehr erfolgreich seiner Angebeteten via SMS zukommen lässt. Bedauerlicherweise setzte das Lektorat meines Verlages die Gedichte nicht vom übrigen Text ab, sodass die Wirkung der Gedichte zum großen Teil unterging. Sie standen versteckt als gewöhnlicher Satz im Text.
Ich sah nun bei der Discounter-Ausgabe die Möglichkeit die kleinen Gedichte, die mir ganz nett aus der Feder geflossen waren, aufzuwerten. Guter Dinge machte ich mich auf den Weg zum Discounter, steuerte auf die Kasse zu und fragte, wo ich denn das Lektorat finden würde. Die Frau an der Kasse sah mich verwundert an.
„Sekretariat?“, fragte sie. „Gehen Sie doch mal zur Filialleiterin.“
Ich fragte mich zur Filialleiterin durch und erkundigte mich auch dort nach dem Lektorat des Discounters.
„Was wollen Sie?“, fragte die mich unwirsch.
Ich erklärte ihr etwas über die Gedichte in meinem Buch, das ja nun bald in diesem Discounter erscheinen würde. Ich hätte da einen Korrekturvorschlag anzubringen.
„Eine Reklamation?“ , fragte die Filialleiterin irritiert nach. Zweifelsfrei war sie noch nicht ganz im Bilde.
Ich wiegte den Kopf von einer Seite auf die andere.
„So könnte man es im Entferntesten nennen.“
„Gehen sie mit Reklamationen an die Kasse. Sie brauchen aber den Beleg.“
Ich ging wieder zur Kasse und schöpfte den Verdacht, dass hier die Lektorinnen degradiert und überqualifiziert als Kassenkraft eingesetzt wurden. Eigentlich nicht verwunderlich. Dass der Arbeitsplatz beim Discounter nicht unproblematisch ist, davon wissen die Medien ja immer wieder zu berichten.
Mit Vorsicht gegenüber der Verwirrung, die meine Schilderungen auslösen können, wollte ich nun bei der Discounter-Lektorin an der Kasse schnell auf den Punkt kommen. Und wie ich noch überlegte, wie ich mein Anliegen bzgl. der Liebesgedichte unmissverständlich und schnell vermitteln könnte, drängte sich auch schon eines meiner Gedichte machtvoll an die Oberfläche. Als wollte es die Sache selbst in die Hand nehmen löste es sich melodiös von den Lippen. Ich sagte:

„Wenn wir zusammen sind
Schreibe ich auf das Blatt Papier
Das nicht zwischen uns passt
Die Verse meiner Liebe.“

Da riss die Discounter-Lektorin an der Kasse ihre Augen zu zwei großen Tintenfischringen (1000 gr für 4.99 €) auf und ihren Mund zu einem noch größeren Tintenfischring (1000 gr für 7.99 €). Sie zeigte wortloses Staunen und das drängende Bedürfnis so schnell wie möglich einen großen Sicherheitsabstand zu mir zu errichten. Sie floh mit wilden Bewegungen durch die Gänge, riss zwei Dosen Tomaten zu 0,39 € das Stück zu Boden, stolperte über einen Regenponcho zu 17,99 € und fiel kopfüber in die geöffnete Gefriertruhe. Mit panischen Bewegungen, die ihrer Rettung dienen sollten, sie aber in Wahrheit in Gefahr brachten, schaufelte sie sich wie eine in Panik geratene Wasserschildkröte pizzakartonweise an den Grund der Tiefkühltruhe.
Mein Mitgefühl und meine Anteilnahme waren alarmiert. Ich folgte ihr in den arktischen Quader, leider ohne mich vorher in einen der Daunenanoraks á 89,-- € zu werfen. Als ich die Discounter-Lektorin unter den Pizzakartons zu fassen bekam, ließ sie mich kälteerstickt wissen, dass ihr Mann sie vor den Arbeitsbedingungen des Discounters gewarnt hätte. Ich erklärte ihr mit klappernden Zähnen, dass die Kasse eines Discounters nicht der einzige Ort für eine gute Lektorin sei, und schon gar nicht das Innere einer Tiefkühltruhe. Aber da konnte sie mir schon nicht mehr antworten, ihre blau gefärbten Lippen klebten kältegeschockt aneinander, an ihren Wimpern setzte sich Frost fest. Mir war klar, dass ich die Discounter-Lektorin schleunigst mit Wärme versorgen musste. Mir kam das Feuer in den Sinn, das meine Poesie in meinem Jugendroman entfachte und hauchte zärtlich in die Kälte.

„Deine blauen Blicke
Malen Buntes
In das Grau
Meiner Sehnsucht.“

Nicht nur meine Verse schienen sie am Leben zu halten. Rettung von außen nahte auch, als ich über uns helfende Hände die Kälte durchtasten sah. Aufmerksame und liebeshungrige Kunden forschten nach dem Ursprung der Worte.
Wenig später saßen wir im Büro der Filialleiterin.
Als diese mich was von Schreiberling faseln hörte, der ich sei und von meinem Buch, da stand ihr unmittelbar das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ihre Augen weiteten sich zu großen Tintenfischringen (1000 gr für 4.99 €) und sie verdächtigte mich ein investigativer Journalist zu sein, der ihre Mitarbeiterinnen in Tiefkühltruhen warf, nur um über miserable Arbeitsbedingungen bei ihnen schreiben zu können, die de facto aber nun mal nicht existierten.
Mir machte unterdessen der abermalige plötzliche Temperaturunterschied zu schaffen. Mir schwanden die Sinne und ich hörte mich nur noch sagen:

„Meine orientierungslose Seele
Folgt der Unendlichkeit meines Sehnens
Und taumelt in das unschuldige Rund
Deines blauen Blickes.“

Dann folgte meine unterkühlte Seele meinem Gedicht. Mein Bemühen um den Text war aber leider nicht von Erfolg gekrönt.